Jedes Jahr kommen rund 30.000 neue Konsumgüter auf den Markt, doch nur ein Bruchteil davon überlebt langfristig. Studien zufolge scheitern bis zu 95 Prozent aller Produktneueinführungen. Laut der Harvard Business Review scheitern rund zwei Drittel der Konsumgüter-Einführungen.¹ Clayton Christensen von der Harvard Business School bringt es in seinem Buch The Innovator’s Dilemma auf den Punkt: Die meisten Produkte scheitern nicht, weil sie schlecht gemacht sind, sondern weil sie an den Bedürfnissen der Zielgruppe vorbeigehen.²
Warum scheitern so viele Produktinnovationen?
Die Gründe dafür sind vielfältig. Oft fehlt ein tiefes Verständnis für die wahren Wünsche und Probleme der Kund:innen. Teams arbeiten aneinander vorbei, Entscheidungen werden isoliert getroffen, und klassische Marktforschungsansätze liefern zu spät oder zu oberflächlich die nötigen Erkenntnisse. Hinzu kommen lange Innovationszyklen und hohe Kosten, ein denkbar ungünstiges Umfeld für mutige, aber fundierte Produktentwicklung.
Wie Online-Communities diese Probleme lösen
enau hier setzen digitale Communities an. Sie ermöglichen Unternehmen einen kontinuierlichen, direkten Draht zur Zielgruppe, nicht punktuell, sondern dauerhaft. Wer heute auf eine eigene Community setzt, kann schneller reagieren, gezielter entwickeln und Produkte auf den Markt bringen, die wirklich gebraucht und gewollt werden.
Statt lange auf Studienergebnisse zu warten, lassen sich Ideen, Prototypen oder Konzepte innerhalb kürzester Zeit (teilweise innerhalb von Stunden) mit echten Nutzer:innen validieren. Eine Studie von Forrester zeigt das vielseitige Potential einer Community, wie sie zur agilen Feedbackquelle, zur Ideenschmiede und zur Versicherung gegen teure Fehlentscheidungen wird. Gleichzeitig reduzieren sich die Ausgaben für klassische Marktforschung drastisch, weil viele Erkenntnisse direkt und kontinuierlich aus dem Dialog mit der Zielgruppe entstehen.³
aus. Die Teilnehmer:innen sind in der Regel engagierte Nutzer:innen mit echtem Interesse am Produkt oder Thema, sie geben nicht nur schneller, sondern auch reflektierter Rückmeldung. Das führt zu einer höheren Validität der Antworten und ermöglicht fundiertere Entscheidungen in der Produktentwicklung.
Ein weiterer Vorteil: Die Zusammensetzung der Community lässt sich gezielt steuern. Statt im Nachhinein passende Proband:innen für einzelne Studien zu rekrutieren, werden von Anfang an relevante Nutzer:innen in die Community aufgenommen, etwa Early Adopter, Vielnutzer:innen, bestimmte Altersgruppen oder Interessenscluster. Das ermöglicht ein viel schärferes Profiling und gezielte, wiederholbare Feedbackzyklen, mit genau den Menschen, auf die es bei der Produktentwicklung ankommt.
Zusätzlich liefert die Community wertvolle Erkenntnisse darüber, welche Funktionen für welche Nutzer:innen relevant sind. Durch gezielte Beobachtung und Feedback lassen sich Nutzungsschwerpunkte erkennen und Funktionalitäten gezielt an die tatsächlichen Bedürfnisse anpassen.
Das hilft nicht nur dabei, bestehende Features zu optimieren, sondern auch dabei, neue Entwicklungen strategisch zu priorisieren. Was wirklich genutzt wird, bekommt mehr Gewicht, was ignoriert wird, wird hinterfragt.
Innerhalb der Community lassen sich zudem gezielte Tasks vergeben, um konkrete Aspekte der User Experience zu prüfen. Zum Beispiel:
- Ist ein neuer Ablauf verständlich?
- Wird ein Feature intuitiv genutzt?
- Wo hakt es im Prozess?
Die User Journey kann gezielt gesteuert und beobachtet werden, um reale Nutzungsszenarien zu simulieren. So lassen sich nicht nur Funktionalität, sondern auch Verständlichkeit, Mehrwert und Frustrationspotential präzise analysieren und gezielt verbessern.
Communities ermöglichen ein neues Verständnis von Produktentwicklung: nicht mehr losgelöst vom Markt, sondern gemeinsam mit dem Markt. Produkte entstehen nicht im stillen Kämmerlein, sondern im offenen Austausch, nah an den Menschen, die sie später nutzen.
Zalando als Beispiel: Von der Community zur Innovationsmaschine
Ein besonders anschauliches Beispiel liefert Zalando. Mit dem Aufbau einer eigenen Beta-Testing-Community veränderte das Unternehmen nicht nur seine Forschungsprozesse, sondern seine gesamte Innovationskultur. Die Kosten für qualitative Forschung konnten um die Hälfte reduziert werden. Das allein ist beeindruckend. Doch der eigentliche Gewinn lag in der Tiefe und Nachhaltigkeit der Erkenntnisse.
Was Zalando schuf, war mehr als ein Testpanel. Es entstand ein lernendes System, das mit jeder Interaktion intelligenter wurde. Die Entwickler:innen sprechen von einer Schneeball-Logik: Jede Rückmeldung vergrößert das Wissen, wie ein Schneeball, der beim Rollen an Größe gewinnt. Mit jeder Feedbackrunde, mit jeder Iteration wuchs das Wissen über die Kund:innen. Immer mehr Nuancen, Präferenzen und Verhaltensmuster wurden sichtbar. So entstand nach und nach ein ganzheitliches, dynamisches Bild der Zielgruppe, weit über das hinaus, was klassische Segmentierungen leisten.
Und nicht nur das: Die Community wurde zu einem echten Partner in der Ideenfindung. Co-Creation ist hier das Stichwort. Engagierte Nutzer:innen beteiligten sich aktiv an der Produktentwicklung, nicht nur reaktiv, sondern kreativ. Sie brachten Vorschläge ein, diskutierten Funktionen, bewerteten Designs und lieferten so wertvolle Impulse. Ein Zitat aus dem Projekt bringt diese neue Haltung auf den Punkt:
„People are willing to give feedback if they know that they are going to be heard and if they believe that something is going to happen with the feedback that they provide. We give customers the opportunity to make an impact.”
Ein reibungsloser, selbstbewusster Start
Ein weiterer Effekt, der oft unterschätzt wird, betrifft die Markteinführung selbst.
Durch das kontinuierliche Beta-Testing war Zalando in der Lage, neue Features zum Launch vollständig ausgereift auszurollen. Keine Überraschungen, keine Bugs, keine UX-Fallen. Alles war getestet, angepasst und bestätigt.
“All these initiatives were coming together in one big release. We were quite excited about it ourselves and we wanted the customers to also feel excited about that. So the question that we had: How can we release this new version of Zalando in a way that is impactful for the customer and it can be marketed upon release?”
Und mehr noch: Durch gezielte Vergleichstests mit bestehenden Features konnte sogar ein Benchmark etabliert werden. So wurde deutlich: Die neuen Funktionen lieferten nicht nur ein besseres Nutzungserlebnis, sie wurden von den Nutzer:innen auch klar als Mehrwert wahrgenommen.
Gleichzeitig schafft ein solcher Benchmark die nötige Einordnung: Wenn 75 % der Nutzer:innen einem neuen Feature zustimmen („That was easy to use“), kann das durch den Vergleich mit bestehenden Funktionen besser bewertet werden, ist das überdurchschnittlich gut oder liegt noch Optimierungspotenzial vor?
Normalerweise: Neue Funktionen werden nach dem Prinzip des A/B-Testings nur schrittweise eingeführt, mit Unsicherheit, ob alles funktioniert.
Mit Community-Beta-Testing: Alles wurde vorab mit echten Nutzer:innen auf Herz und Nieren geprüft. Der Launch kann in einem Rutsch erfolgen, fehlerfrei, überzeugend und als echtes Event inszeniert werden.
Während klassische A/B-Tests meist auf anonyme Verhaltensdaten setzen und kaum Raum für Rückfragen oder Erklärungen bieten, erlaubt eine aktive Community einen direkten Austausch. Nutzer:innen können Bugs unmittelbar melden, konkrete Verbesserungsvorschläge machen oder Feedback in eigenen Worten geben, oft inklusive Screenshots oder konkreter Nutzungssituationen. So entsteht nicht nur mehr, sondern auch aussagekräftigeres Feedback in Echtzeit.
Qualitätssicherung und Vertrauen in den Start
Durch Community-Validierung entsteht nicht nur Qualitätssicherheit, sondern auch Launch-Confidence.
Ein fehlerfreier Rollout in voller Breite schafft Momentum, das gezielt für PR, Kampagnen und Nutzeraktivierung genutzt werden kann. Ein voll getestetes Feature kann zum Highlight werden: als Newsletter-Headline, als Banner auf der Startseite, als Social-Media-Kampagne. Denn was sitzt, darf auch glänzen und das ist mit Community-Testing möglich.
Dadurch konnte der Launch nicht nur mit Selbstbewusstsein kommuniziert, sondern als echtes Highlight inszeniert werden. Kein schrittweises A/B-Testing, kein vorsichtiger Rollout, sondern ein vollständiger, koordinierter Launch im entscheidenden Moment. Sichtbar. Nutzbar. Wirksam. Allein durch das Community-Testen konnten vor dem Go-Live 363 Fehler identifiziert und behoben werden. Ein eindrucksvoller Beweis für die Stärke des Community-Ansatzes.
O-Data trifft X-Data
Besonders spannend: In der Case Study wird beschrieben, wie Zalandos Datenteams klassische Verhaltensdaten (O-Data) mit den qualitativen Community-Insights (X-Data) kombinieren konnten. Durch explorative Analysen wurden Hypothesen zu auffälligem Nutzerverhalten entwickelt, das können bspw. Nutzungshürden oder plötzliche Schmerzpunkte im Funnel sein.
Wenn sich daraus keine klaren Erklärungen ableiten ließen, konnten die Teams gezielt auf die Community zugehen, um qualitative Insights einzuholen. So wurde die Community zur strategischen Ergänzung der Datenanalyse: Dort, wo Zahlen Fragen aufwerfen, liefert der Dialog mit echten Nutzer:innen die Antworten. Das verbessert nicht nur das Produktverständnis, sondern auch die Relevanz der Lösungen.
Das Ergebnis: ein echter Win-Win. Dort, wo sich durch die Datenanalyse bereits eindeutige Muster und Antworten ergeben, muss die Community nicht zusätzlich belastet werden. Und dort, wo offene Fragen bestehen, kann sie gezielt aktiviert werden, um kontextreiche Einblicke zu gewinnen, die allein aus Zahlen nicht ableitbar wären
Der wirtschaftliche Effekt: ROI sichtbar steigern
Auch aus finanzieller Sicht lohnt sich der Aufbau einer eigenen Online-Community. Laut einer Studie von Forrester können Unternehmen durch kontinuierliches Kundenfeedback nicht nur die Produkt-Markt-Passung verbessern, sondern auch ihre Forschungskosten erheblich senken, was zu einer signifikanten ROI-Steigerung führt.³
Ein eigenes vereinfachtes Rechenbeispiel verdeutlicht das Potenzial (die Zahlen dienen der Veranschaulichung): Wenn ein Unternehmen jährlich 500.000 € für Marktforschung ausgibt und durch die Community die Hälfte einspart, ergibt das allein 250.000 € Einsparung. Kommt eine Umsatzsteigerung von 20 % durch verbesserte Produktentwicklung hinzu – bei z. B. 1 Mio. € Umsatz eines neuen Produkts – erhöht sich der Erlös um weitere 200.000 €.
In Summe: Ein ROI-Effekt von 450.000 € pro Jahr – bei gleichzeitig besserer Marktresonanz.
Fazit: Innovation braucht Nähe zum Kunden
Die Erfolgsformel für die Zukunft der Produktentwicklung ist simpel, aber wirkungsvoll: Hört euren Kund:innen zu – und bezieht sie aktiv ein. Online-Communities schaffen genau diesen Raum: für ehrliches Feedback, gemeinsame Ideenentwicklung und echte Kundenzentrierung. Wer auf die Kraft von Communities setzt, reduziert Risiken, beschleunigt Prozesse, spart Kosten – und entwickelt Produkte, die den Markt wirklich bewegen.
„Innovation is no longer about guessing what people want. It’s about building it with them.”
REFERENZEN:
¹ Harvard Business Review, „Why Most Product Launches Fail“ (2011).
² Christensen, Clayton M. (1997). The Innovator’s Dilemma: When New Technologies Cause Great Firms to Fail. Boston, MA: Harvard Business School Press.
3 Forrester Consulting, „The Total Economic Impact of Insight Communities“ (2023). Die angegebenen Zahlen dienen als vereinfachtes, illustratives Berechnungsbeispiel und sind nicht direkt dieser Quelle entnommen.
Über den Autor:
Bartosch Michalski
Bartosch Michalski ist Key Account Manager für die DACH/PL-Region. Er verfügt über jahrelange Erfahrung in den Bereichen Vertrieb und Project Management und bringt bei QuestionPro sein Fachwissen über Produkte ein, die sich auf Datenerfassung und Customer Experience konzentrieren.